TU Kaiserslautern-Landau

Wireless Factory 4.0 mit 5G

Massives Einsparungspotential, hohe Datenraten und geringe Latenz mit 5G

5G Kaiserslautern

Der Mobilfunkstandard 5G ist da und kann genutzt werden. Noch sind jedoch gerade kleine und mittlere Unternehmen unsicher, ob sie in ein privates 5G-Netz investieren sollen. Zu groß scheint das Investment und zu unklar der Gewinn.

Welche neuartigen Anwendungen sich mit 5G umsetzen lassen und wie bestehende Abläufe effizienter gestaltet werden können, zeigt das durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr geförderte Projekt (Förderkennzeichen: VB5GFKAISE) 5G Kaiserslautern.

Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU)

Die Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) ist die einzige technisch-naturwissenschaftlich ausgerichtete Universität in Rheinland-Pfalz.

An der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau werden in privaten 5G-Campusnetzen 5G-Anwendungsfälle erforscht. Gemeinsames Ziel der Forschung ist die Erprobung des neuesten Mobilfunkstandards in Anwendungen aus verschiedenen Bereichen.

Jedes der Teilprojekte versucht, die drei großen Stärken von 5G – hohe Anzahl an Netzteilnehmern (mMTC), hohe Datenübertragungsraten und -volumina (eMBB) und verlässliche ultraniedrige Latenz (uRLLC) – für spezifische Bereiche nutzbar zu machen.

Wie sehr sich die Latenz mit 5G senken lässt, wird anhand einer CNC-Fräse in einer Werkshalle des Lehrstuhles für Fertigungstechnik und Betriebsorganisation (FBK) demonstriert. Die Anlage kommt mit 5G ohne die übliche integrierte Steuerung vor Ort aus, denn die ist in die Edge Cloud verlagert. Als Steuerungspanel oder Human-Machine-Interface (HMI) wird stattdessen ein handelsübliches Tablet oder Smartphone benutzt.

Die Fräse ist eine Anlage mit hoher Präzision, hohen Drehmomenten und notwendigerweise geringen Latenzen in der Maschinenkommunikation. Eine Latenz von wenigen Millisekunden darf im Regelbetrieb nicht überschritten werden. Mit einer Fräse lässt sich also ein überzeugender Referenzfall für geringe Latenzen erreichen.

„Wenn wir bei der Fräse ultraniedrige Latenzen mit hoher Verlässlichkeit erreichen, dann ist fast alles andere auch möglich“, erklärt Jan Mertes vom Lehrstuhl für Fertigungstechnik und Betriebsorganisation, der den Anwendungsfall Maschinensteuerung leitet. Das Gesamtprojekt wird von Professor Hans Schotten vom Lehrstuhl für Funkkommunikation und Navigation geleitet. CNC-Fräsen verfügen normalerweise über eine Steuerung mit geschlossenem Regelkreis.

Das bedeutet, dass keine kompensierenden Eingaben von menschlichen Bedienern getätigt werden und die Fräse automatisch und unabhängig arbeitet und die Bewegung regelt. Der vom Bediener vorgegebene Sollwert bestimmt, wie Motoren, Spindel und andere Maschinenteile verfahren. Integrierte Encoder geben Feedback zur Ist-Position beispielsweise des Schneidewerks; die Regler regeln den Feedback-Loop um Soll-Position und Ist-Position herum in unter 1 Millisekunde. Bei Erreichen des Sollwerts muss der Arbeitsvorgang in Echtzeit beendet werden.

Ein weiteres Forschungsziel, das mit der Fräse im 5G-Netz verfolgt wird, ist die Erprobung der Betriebsorganisation mit digitalem Zwilling. Das ist das digitale Spiegelbild der Anlage und all ihrer Prozesse. Über 5G werden alle Werte aus der Steuerung zum digitalen Zwilling übertragen. Der digitale Zwilling soll im Werksnetz in Smartphones, 5G-fähigen Tablets und 5G-fähigen Laptops einsehbar sein. Er überwacht die Maschine in Echtzeit, ermöglicht Diagnosen und ist seinerseits Grundlage der Steuerung.

Kabellose Kommunikation in der Industrieautomation ist mit 5G in Echtzeit möglich.

Industrieautomation mit 5G

Steuerungseinheiten an Industrieanlagen nehmen viel Platz ein.

Factory 4.0

Nur mit der richtigen Hardware lässt sich der 5G-Standard umsetzen.

Ein Tablet zur Steuerung aller Anlagen

Ein Tablet zur Steuerung aller Anlagen – das ist die Zukunft der industriellen Produktion.

Jan Mertes ist Doktorand im Projekt „5G Kaiserslautern“

Im 5G-Netz erübrigt sich das Datenkabel. Notwendig sind für den Betrieb der Maschinen nur noch Strom und die Infrastruktur der Halle. An der RPTU liegt bis zur Maschinenhalle ein Glasfaserkabel, mit dem die 5G Radio Heads in der Halle mit dem Core verbunden sind und somit das 5G-Netz aufbauen. An das 5G-Netz ist direkt ein zentraler Server angebunden. Die Recheneinheiten, die sich in der Regel an jeder individuellen Maschine befinden, werden in diese Edge Cloud ausgelagert. Maschinen werden dadurch zu mobilen Produktionsmodulen.

Mehrere modular verschiebbare Anlagen können so aufgestellt werden, dass die Fertigung zeitsparend auf kleinstem Raum erfolgt. Eine additive Fertigungsanlage wie ein 3DDrucker kann beispielsweise direkt neben eine CNC-Fräse gestellt werden, so dass die fertigen Druckteile sofort nachbearbeitet werden können. Im Anschluss kann ein AMR (autonomer mobiler Roboter) oder ein Mitarbeiter den Prozess fortführen. Die Grenzen zwischen Produktionsschritten werden durchlässiger.

In diesem Anwendungsfall der Maschinensteuerung können knapp 50 % der Kabelinfrastruktur innerhalb der Werkshalle mit 5G eingespart werden. Eine Anlage ohne HMI nimmt zudem weniger Raum ein. Mehr Anlagen können in einer Werkshalle untergebracht oder kleinere Hallen errichtet werden. So werden Ressourcen gespart.

Da ein 5G-fähiges mobiles Endgerät als HMI für viele Maschinen fungieren kann, ist der Gerätebedarf für mobile Devices ebenfalls geringer. „Je mehr Anlagen vorhanden sind, desto größer sind natürlich die Einsparungen“, erklärt Jan Mertes. „Deswegen sollte ein 5G-Projekt als gesamtes Infrastrukturprojekt gesehen werden, da dies die Basis für eine Vielzahl simultan vorhandener Use Cases sein kann.“

Kleinere und mittlere Industrieunternehmen in Deutschland sind noch zögerlich in der Errichtung von werkseigenen 5G-Netzen. Jan Mertes ist jedoch überzeugt: „Wenn 5G erst einmal angenommen wird, dann werden immer mehr Anwendungsfälle entwickelt werden.“ Bei 5G-basierter Automation wäre es möglich, die gesamte Produktion von einem Leitstand aus zu organisieren. Vor Ort wären dann nur noch Springer, die bei Bedarf einen digitalen Zwilling oder eine Anlage inspizieren.

Die größte Hürde für die Umsetzung des 5G-Projektes an der CNC-Fräse war die Verfügbarkeit von aktueller, dem Standard entsprechender 5G-Hardware. Nur mit Chips, die die Spezifikationen der 3GPP für 5G-Release 16 (R16) technologisch umsetzen, kann uRLLC erreicht werden. Seit 2020 ist die Arbeit am R16 abgeschlossen. R16-Chips waren während der Corona-Pandemie jedoch nicht verlässlich zu beschaffen gewesen.

Zukunftsszenarien

Einiges von dem, was jetzt schon mit 5G möglich ist und getestet wird, scheint aus einem Science Fiction-Roman zu stammen.

CNC-Fräse

Geringe Latenz ist von hoher Bedeutung bei der CNC-Fräse.

Aus dem Wagen heraus wird das mobile 5G-Netz aufgespannt

Aus dem Wagen heraus wird das mobile 5G-Netz aufgespannt; die Drohne findet das Unkraut, der Roboter vernichtet es gezielt.

AGVs

Die Flotte von AGVs übernimmt auf dem Campus unterschiedlichste Logistikaufgaben per Zuruf.

Arbeiter steuern per EEG Anlagen

Arbeiter steuern per EEG Anlagen. Wichtig hierfür sind eMBB und uRLLC.

Die drei Stärken von 5G lassen sich derzeit noch nicht in gleichem Maße in allen Anwendungsfällen realisieren. Bei der CNC-Fräse ist die Übertragungsgeschwindigkeit enorm, während die Datenübertragungsrate gering ist. „Für unseren Anwendungsfall ist die Datenübertragungsrate irrelevant“, erklärt Jan Mertes, „weil wir nur einige Kilobit bis wenige Megabit übertragen müssen.“

Bei extrem geringen Latenzen leidet automatisch die Datenrate. Benötigt man eine hohe Datenrate mit extrem geringer Latenz, so können nur wenige Teilnehmer das Netz nutzen. „Man muss sich letztlich entscheiden, wo man Exzellenz wirklich braucht“, konstatiert Jan Mertes. Die anderen 5G-Teilprojekte der RPTU bestätigen das.

Der Anwendungsfall im Bereich Landwirtschaft benötigt 5G als Schlüsseltechnologie für eine hohe Datenrate und geringe Latenzen. Das 5G-Netz wird hier mobil aus einem Transporter am Feldrand heraus aufgespannt. Eine Drohne überfliegt das Feld autonom.

Während des Flugs werden große Mengen an Bilddaten übertragen, mit denen in einem Edge Cloud Server mit Hilfe von Machine Learning das Unkraut erkannt und seine Position errechnet wird. Feldroboter fahren die Unkrautpflanzen dann gezielt an und besprühen sie mit Pflanzenvernichtungsmittel. So werden mit Hilfe moderner Technik flächendeckende Verfahren zur Aussaat, Düngung, Beiwuchsvernichtung oder Bewässerung von ressourcen- und umweltschonenden Precision Farming-Methoden abgelöst

Der Use Case mit autonom fahrenden Fahrzeugen (AGVs) auf dem Universitätsgelände stützt sich ebenfalls auf die mit 5G möglichen hohen Datenraten und geringen Latenzen. Die an der Universität existierende Flotte von AGVs soll unterschiedlichste Logistikaufgaben auf dem Universitätsgelände per Zuruf übernehmen können: vom Büchertransport zwischen zwei Fachbibliotheken über das Ausfahren von Mensa-Essen bis hin zum Materialtransport der Werkstätten.

Da aktuell komplett autonomes Fahren in realer Umgebung noch nicht möglich ist, gibt es eine Leitstelle, von der aus ein Mitarbeiter eingreifen kann, wenn es zu einer Situation kommt, mit der das AGV noch nicht umgehen kann. Dafür müssen die Kamerabilder in Echtzeit übermittelt werden.

Dieser Fall nutzt ein Brain-Computer-Interface, mit dessen Hilfe Arbeiter per EEG Anlagen steuern. Auf einem semi-transparenten Display vor der Maschine sehen sie Informationen zum Zustand eines Roboterarmes, Auswertungen von Sensoren oder weitere Details über das jeweilige Werkstück.

Die Einblendungen und Animationen werden zentral auf einer Edge Cloud berechnet und über einen Leitstand überwacht. Vor Ort werden nur die Visualisierungstechnik und das System zum Erfassen des Arbeiters benötigt. Dieser Anwendungsfall wird durch eMBB und uRLLC möglich.

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