1. Herr Rudenko, TB International ist ein Großhändler. Wie sieht das Vertriebsnetz des Unternehmens aus?
Alles, was wir vertreiben, produzieren wir selbst. Die Designs werden in-house entwickelt und die Garne und Stoffe kommen aus Asien, wo sich auch die Produktionsstätten befinden. Wir verkaufen unsere 15 Marken über 15.000 verschiedene Händler. Viele unserer Händler haben sowohl Ladengeschäfte als auch Online-Shops, Snipes oder Peek & Cloppenburg zum Beispiel. Andere Händler verkaufen nur online. Wir versenden unsere Produkte in Vollkartons zu den Händlern, die sie dann in den Einzelhandel geben. TB International ist dabei immer im Hintergrund. Nur die Modelabels sind bekannt. Das ist ein einzigartiges Geschäftsmodell.
2. Hat die Pandemie Einfluss genommen auf ihre Betriebsabläufe?
Ja, in positiver Hinsicht. Seit der Pandemie ist das Online-Segment für uns von größerer Bedeutung. Zalando und About You sind in der Zeit wichtige Partner geworden, Zalando ganz besonders. Wir bieten unsere Produkte in ihrem Onlineshop an und Zalando wickelt den Bestellund Bezahlvorgang ab. Wir übernehmen dann das Dropshipping aus unseren vier Warenlagern heraus. Wenn Zalando geringere Versandkosten anbieten kann als wir, versenden wir aber erst an Zalando. Diesen E-Commerce-Partner hatten wir vorher nicht. Mit Zalando haben wir in der Pandemie unseren Durchbruch gehabt.
3. Wie erklären Sie sich das?
In der Pandemie hat sich das Einkaufsverhalten der Menschen geändert. Die über-40-Jährigen waren im Home Office und haben deutlich weniger Kleidung gekauft. Aber gerade das Alterssegment zwischen 15 und 30 Jahren hat stark Hoodies und qualitativ hochwertige, bequeme Alltagskleidung nachgefragt. Urban Classics, Mister Tee und andere unserer Label lagen genau im Trend.
4. Hat TB International deswegen eine eigene E-Commerce-Plattform aufgesetzt?
Genau. Ohne dezidierte E-Commerce-Plattform waren wir nicht in der Lage, die gestiegene Nachfrage selbst zu bedienen. 30 % unseres Umsatzes im letzten Jahr wurde über die B2C-Plattform erwirtschaftet. Dank des boomenden Onlinehandels haben wir insgesamt ein Wachstum von 100 % verzeichnet. Und ein Teil davon ist als Direktverkauf an Konsumenten über die Onlineshops der Modelabels zustanden gekommen.
5. Wie haben Sie das in der Logistik abgewickelt?
An unserem ältesten Standort in Darmstadt/ Arheiligen haben wir eine fastspeed Logistik mit Automatisierungen aufgebaut. Dort gibt es ein automatisiertes Kleinteilelager mit Kommissionierrobotern und einem größeren Einzel-Pick- Bereich. Der Direktverkauf von uns an den Konsumenten wird dort angesteuert. Momentan überwiegt in den Warenlagern aber das Handling von Vollkartons.
6. Wo sehen Sie größeres Wachstumspotential für TB International: im Großhandel oder im Einzelhandel?
Beide entwickeln sich sehr gut. Von den 30 Mio. Produkten, die wir 2021 verkauft haben, ist 25 % als Einzelteil versendet worden. Perspektivisch möchten wir mit dem B2C-Geschäft die Hälfte des Umsatzes erwirtschaften.
7. Sie erwähnten den RTLS-Anbieter Inpixon; mit ihnen haben Sie auch die RTLS-Lösung umgesetzt, die jetzt kurz vor dem betriebsweiten Rollout steht. Wie neu ist RTLS für Sie?
Als Logistikverantwortliche habe ich mich schon lange damit beschäftigt. Insofern ist das nichts Neues. Die Kosten-Nutzen- Rechnung war bisher allerdings immer eine Hürde. Deswegen hatte ich mich vor 2020 nicht tiefgehend mit RTLS und RFID befasst. Als dann der Kontakt zu Inpixon zustande kam, hat sich das geändert. Wir haben schnell einen Use Case gefunden.
8. Wie haben Sie die Implementation vorbereitet?
Die Frage für TB International war, wie wir unsere Warenlogistik effizienter gestalten können. Ein Werkstudent hat dies zu seiner Forschungsfrage in der Masterarbeit in Betriebswirtschaftslehre gemacht. Während des Pilotdurchlaufs mit Inpixon hat der Student Daten erhoben. Gemeinsam hatten wir acht Entscheidungskritierien erarbeitet, anhand derer wir im Nachgang analysieren wollten, ob eine Umstellung auf RFID ratsam wäre. Die Kriterien waren: Kosten, Prozessoptimierung, Warenverfügbarkeit, Transparenz, Mitarbeitermotivation, Tracking & Trace, Zukunftsfähigkeit des Produktes und Möglichkeit zur Fehlerbehebung am Produkt und im System. Das Resultat ist eine Effizienzsteigerung von 40 % allein im Wareneingang. Das hat uns überzeugt. Wir erfassen jetzt die Kartons vom Hersteller in Asien durch die gesamte globale Supply Chain bis ins Lager in Groß Gerau – erst einmal nur dort – mit RFID Tags.
9. Die Umstellung auf UHF-RFID im Warenlager Groß Gerau ist ein klassischer Anwendungsfall für diese Technologie. Ist das Projekt damit abgeschlossen?
Nein, im Gegenteil, es fängt erst an! RFID ist die Technologie der Zukunft in der Logistik und im Einzelhandel. Es ist noch viel mehr möglich. Jetzt, wo alle 40 Gabelstapler in Groß Gerau mit Readern versehen sind und die Technologie im Warenlager implementiert ist, können wir jederzeit neue Anwendungsfälle als Erweiterung hinzufügen. Von Inpixon wissen wir, dass sie komplette Lösungen für 5G-Werksnetze anbieten und umsetzen können. Wir werden sehen, was wir in Zukunft benötigen.
10. Welche Veränderungen stehen noch an?
Mit der Digitalisierung steigen die IT-Anforderungen an die Mitarbeiter, und da stehen wir noch am Anfang. Wir wollen unsere Mitarbeiter so schulen, dass sie ein grundlegendes Verständnis von Automatisierungsprozessen haben. Dadurch wird die Motivation, mit der Technologie zu arbeiten, steigen. Ich kann mir auch vorstellen, dass die Mitarbeiter in Zukunft mit AR-Glasses arbeiten können, durch die sie relevante Bereiche eingefäbt sehen oder Pfade im Lager mit Informationen versehen in den Gläsern eingespielt werden. Da ist viel möglich.
11. Sehen sie die Veränderungen durch die Digitalisierung als grundlegend an oder als nützliche Ergänzung?
Die Veränderungen sind grundlegend und tiefgreifend. Was wir implementiert haben im Warenlager in Groß Gerau bedeutet nichts anderes als eine Verlagerung der Logistik weg vom Regal und hin zur IT. In Zukunft werden wir einen IT-Leitstand benötigen, in dem in jeder Schicht zwei Mitarbeiter die Materialflüsse betreuen, bei anfallenden Fehlern in den Code schauen und Fehler im System ausbessern können. Im Hintergrund verändert sich bei so einer Implementierung sehr viel. Auch Manager wie ich werden in Zukunft mehr IT-Knowhow benötigen.
12. Ist TB International derzeit gut aufgestellt für diese Veränderungen?
Auf jeden Fall. Unser Motto bei TBI ist „never stand still“. Wir bringen den Hunger und den Drive mit, all unsere Prozesse zu überprüfen und zu verbessern.