Interview
Digitalisierung und Automatisierung sind die Brücken zur Nachhaltigkeit
Trotz der Risiken und Unwägbarkeiten von Krieg, Energiekrise und gestörten Lieferketten blickt die Automatisierungsbranche auf zwei gute Jahre zurück
Christian Wolf, Geschäftsführer von Turck, und Bernd Wieseler, Produktmanager für das RFID-Segment bei Turck, berichten im Interview mit Anja Van Bocxlaer, Chefredakteurin und Inhaberin der Think WIOT Group, über den Boom in der Automatisierungstechnik, den Weg zur Nachhaltigkeit und die Herausforderungen, die der digitale Wandel für große Unternehmen und KMUs mit sich bringt.
Christian Wolf ist Geschäftsführer von Hans Turck GmbH & Co. KG und Turck Holding GmbH.
Bernd Wieseler ist Director Product Management RFID Systems bei der Hans Turck GmbH & Co. KG.
1. Herr Wolf, welche Herausforderungen musste Turck in den vergangenen drei Krisenjahren meistern?
Wolf: Die vergangenen drei Jahre waren hinsichtlich der Ressourcenknappheit, des Fachkräftemangels und der gesamten – durch Corona und Krieg bedingten – unsicheren Lage auf jeden Fall herausfordernde Jahre. Drei Jahre mit Höhen und Tiefen. In meinen über 25 Jahren bei Turck und in der Branche habe ich beispielsweise so einen Preis- und Beschaffungskampf um Bauteile wie 2021 und 2022 noch nie erlebt. Broker bestimmten viele Preise für Bauteile und Rohmaterialien, die wir in enger Zusammenarbeit mit unseren Kunden verdauen mussten.
2. Wie hat sich die Krise auf die Geschäftsentwicklung ausgewirkt?
Wolf: Geschäftlich haben wir in diesen Jahren genau das Gegenteil von Krise erlebt, nämlich einen Boom in der Automatisie- rungstechnik. 2020 ist der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr leichtgefallen. 2021 verzeichneten wir in der Automatisierungstechnik ein Wachstum von 26 Prozent.
2022 waren es immerhin noch sehr gute 16 Prozent. Ein kurioser Umstand. Die Zeit der Pandemie ist tatsächlich die erfolgreichste Zeit unserer bisherigen Unternehmensgeschichte. Die Frage, wie können wir gerade in der Pandemie dem Mitarbeitermangel, der Materialknappheit und fehlenden Fertigungskapazitäten entgegenwirken, stellte sich zeitgleich zum massiv steigenden Auftragseingang.
3. Worin sehen Sie die Gründe für die gestiegene Nachfrage nach Automatisierungslösungen?
Wolf: Es gibt mehrere Gründe. Allgemein ausgedrückt, liegen in der Automatisierungstechnik Lösungen für zahlreiche Probleme, die uns heute beschäftigen. Konkret lauten die vier großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen dieser Zeit: Deglobalisierung bei intensiven weltweiten Handelsverflechtungen, Dekarbonisierung und damit das Streben nach CO2 -Neutralität und Energieeffizienz sowie die Transformation hin zur Elektromobilität. Die Automatisierung und Digitalisierung aller Prozesse ist die Grundvoraussetzung für jede dieser Aufgaben. Und bei all diesen Veränderungen müssen wir auch dem demografischen Wandel erfolgreich begegnen.
4. Können Sie an einem Beispiel erläutern, wie Digitalisierung und Automatisierung mit dem Thema Nachhaltigkeit zusammenhängen?
Wolf: Nehmen wir das Beispiel Maschinenbau. Ein Ma- schinenbauer fragt sich heute aufgrund der gestiegenen Energiepreise einerseits und der EU-Vorgaben zur Nachhaltigkeit andererseits, wie er die Produktion energieeffizienter gestalten kann.
Die Antwort lautet: durch Digitalisierung und Automatisierung. Die Auswertung von Sensordaten aus Maschinen ist unerlässlich, um die Prozessgeschwindigkeiten sowie Wartungs- und Stillstandszeiten von Maschinen so einzurichten, dass die Energiebilanz optimal ist. Der Einsatz von Energie kann ebenfalls durch die Nutzung von Automatisierungstechnik optimiert werden. Die Reduzierung von Energieverbrauch und Betriebskosten sind Prozesse, die sich letztlich nur datenbasiert durch Digitalisierung lösen lassen. Insofern sind die Bestrebungen zum nachhaltigen Produzieren und Wirtschaften bedeutende Beschleuniger für die digitale Transformation in der Industrie.
5. Wie hat sich die Verteuerung der Energie auf die Produktion bei Turck ausgewirkt?
Wolf: Nicht so stark wie in anderen Industriebranchen, aber auch für uns sind die gestiegenen Kosten spürbar. Turck ist kein Unternehmen mit hohem Energieverbrauch. Gas nutzen wir nur in geringem Maße, und zwar nicht für Maschinen und Anlagen, sondern zum Heizen unserer Räumlichkeiten. Unsere Maschinen und Anlagen werden elektrisch betrieben.
Wir haben daher Initiativen und Investitionen gestartet, um den Anteil der Photovoltaik an unserer Energieversorgung zeitnah deutlich zu erhöhen. Damit wollen wir deutlich stärker zum energetischen Selbstversorger werden. Ich begrüße es ge- nerell, dass in Energiefragen ein ökologisches Umdenken in der Industrie stattfindet, um in der Zukunft unabhängiger von Gaslieferungen zu werden.
6. Sehen Sie eine Möglichkeit, Resilienz gegen die Auswirkungen geopolitischer Krisen aufzubauen?
Wolf: Wenn man davon ausgeht, dass die wirtschaftliche Entwicklung volatil bleibt, muss man sich auf der Kapa- zitätsseite breiter aufstellen, um bei einer stark ansteigen- den Nachfrage schnell auf die Anforderungen der Kunden zu reagieren. Denn eine hohe Verfügbarkeit wird auch zukünftig ein entscheidendes Kriterium für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen bilden. Letztlich heißt dies antizyklisch zu agieren. Es wird also auch zukünftig immer häufiger zu einer Abkühlung des Wirtschaftsklimas nach drei bis vier Jahren kommen.
Um trotzdem längerfristig planen zu können, arbeiten wir bei Turck jetzt an einer strukturierten Fünfjahresplanung. Die Unsicherheiten durch geopolitische Spannungen müssen wir als Unternehmen wieder in Unternehmertum ummünzen und auch in schlechten Zeiten auf dem Investitionspfad bleiben.